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Stress im Betriebsalltag

Stress: Wie raus aus dem Hamsterrad?

Stress und Burnout in der grünen Branche nehmen zu. Stress kann durch persönliche Umstände, aber auch durch äußere Einflüsse, etwa bei der Arbeit, ausgelöst werden. Was können Sie tun? Das erfahren Sie in den Interviews.

Was macht Stress? Häufig genannte Belastungsfaktoren.  (Bildquelle: F. Schildmann)

HOFdirekt: Was ist überhaupt Stress und wie äußert er sich im Körper?

Kirsten Brandt: Stress ist die Reaktion des Körpers auf eine bedrohliche Situa­tion und darauf reagiert er, wie in der Steinzeit, wenn der Säbelzahntiger auftauchte: mit Angriff oder Flucht. In dem Moment schüttet der Körper Stresshormone aus, zum Beispiel steigt der Adrenalinspiegel, erhöht sich die Wachsamkeit, beschleunigen sich Herzschlag und Puls. Ist die bedrohliche Situation gemeistert, tritt der Körper in die Ruhephase und baut die Stresshormone wieder ab.

HOFdirekt: Was empfinden wir heute als bedrohliche Situation?

Kirsten Brandt: Diese kann vielfältige Ursachen haben. Grundsätzlich entsteht Stress aus psychischen Belastungen heraus. Das sind Einflüsse, die von außen auf die Psyche wirken. Zur Psyche gehören Gefühle und Gedanken, die Sinne wie Sehen, Hören, Riechen, aber auch die Konzentration oder Aufmerksamkeit. Die Einflüsse auf die Psyche können ganz unterschiedlicher Natur sein: unfreundliche Kunden, ständiges Handyklingeln, Zeitdruck. Auch äußere Umstände können die Psyche belasten, wie schlechte Beleuchtung oder ein flackernder Bildschirm. Diese Einflüsse nimmt jeder Mensch unterschiedlich wahr. Was für den einen schon Stress ist, spornt den anderen eher an. Aber in jedem Fall wirken die Faktoren auf unsere mentale Verfassung. Überwiegen die negativen Einflüsse, geraten wir in Stress.

HOFdirekt: Welche Folgen hat die Belastung?

Kirsten Brandt: Stress an sich ist nicht das Problem, sondern die dauernde Belastung. Bekommt der Körper seine Ruhephasen nicht mehr, werden die Stresshormone nicht mehr abgebaut, wirkt sich das auf so ziemlich alle körperlichen Funktionen aus. Klassiker sind Nacken- und Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Probleme. Depressionen, Schlafstörungen oder Tinnitus sind weitere mögliche Folgen. Auf Dauer macht Stress „dumm“. Kurzfristig kann das Gehirn bei akutem Stress nicht auf Areale zurückgreifen, die für komplexes Denken zuständig sind. Sie werden durch den Flucht-Angriff-Reflex gebremst. Langfristig verändert Stress das Gehirn, beeinträchtigt die Gedächtnisleistung und das Lernen, ist sogar ein Risikofaktor für Demenz.

HOFdirekt: Was führt zu arbeitsbedingtem Stress?

Kirsten Brandt: Im Arbeitsleben gibt es viele stressauslösende Faktoren, so genannte Stressoren. Sie werden in psychische, physikalische und soziale Stressoren unterteilt. Zu den psychischen zählen etwa Leistungsmenge und Arbeitstempo, unklare Zuständigkeiten oder widersprüchliche Arbeitsanweisungen. Hitze, Kälte, Nässe oder Lärm sind physikalische Stressoren. Wenn die Arbeitsbedingungen nicht zu den familiären Erfordernissen passen, es an Anerkennung oder Unterstützung durch Chef und/oder Kollegen fehlt oder das Betriebsklima schlecht ist, lösen soziale Faktoren den Stress aus. 

HOFdirekt: Wie lassen sich die Stressoren herausfinden?

Kirsten Brandt: Wie für die Arbeit an Maschinen ist auch für die psychische Belastung am Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung erforderlich. Die SVLFG bietet beispielsweise die Box „Gute Arbeit im Kleinunternehmen“ an. Anhand von Fragebögen und einem Punktsystem können die Mitarbeiter ihre psychische Belastung in verschiedenen Bereichen einschätzen, wie „Meine Arbeit ist abwechslungsreich“; „Die Zuständigkeiten sind klar geregelt“ oder „Ich kann mein Wissen und meine Erfahrung bei der Arbeit einsetzen“. Damit erfüllen Sie als Chef oder Chefin nicht nur Ihre gesetzlichen Pflichten, sondern erhalten außerdem ein gutes Stimmungsbild, wie gestresst oder entspannt Ihre Mitarbeiter sind. Prüfen Sie auch für sich selbst Ihre psychische „Gefährdungslage“. Denn ein Zusammenhang wird gerne übersehen: Sind Sie als Betriebsleiter gestresst, sind es auch Ihre Mitarbeiter.

Kirsten Brandt kümmert sich bei der SVLFG als Gesundheitsmanagerin im Bereich Prävention um die Versicherten.
 

Wenn Sie ‚Nein‘ sagen, müssen Sie auch mit der negativen Reaktion Ihres Gegenübers klarkommen.

Regina Eichinger-Schönberger

HOFdirekt: Menschen sind unterschiedlich belastbar. Was sind die Stressoren auf persönlicher Ebene?

Regina Eichinger-Schönberger: Persönlicher Stress hat vielfältige Ursachen. Familiäre Konflikte, die Pflege von Angehörigen oder Erkrankungen lösen Stress aus, eine unsichere, betriebliche Zukunft oder finanzielle Schwierigkeiten ebenso. Die Stressoren allein sind aber noch nicht der Stress. Es braucht außerdem die individuelle Bewertung „Jetzt wird es mir zuviel“. Jeder Mensch hat zudem bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die einen mehr oder weniger stressanfällig machen.

HOFdirekt: Wie kann ich diese herausfinden?

Regina Eichinger-Schönberger: Stellen Sie sich selbst die Fragen: „Wann gerate ich in Stress? Wie werden Situationen stressiger?“ Da gibt es ganz bestimmte Verhaltensweisen, die Stress befördern, etwa lieber alles selbst zu machen, ständig zu schauen, ob die Arbeiten auch richtig erledigt werden, oder zu viele neue Aufgaben anzunehmen und sich damit unter Druck zu setzen.

HOFdirekt: Und was kann ich dagegen tun?

Regina Eichinger-Schönberger: Setzen Sie Prioritäten. Was muss jetzt unbedingt erledigt werden? Was kann warten, zum Beispiel der Insta-Post? Planen Sie Ihre Zeit, gehen Sie beispielsweise jeden Tag von 9 bis 10 Uhr ins Büro, damit sich dort keine Aktenberge anhäufen. Ganz wichtig: Grenzen setzen und „Nein“ sagen – ist allerdings auch nicht so einfach (siehe Kasten). Bauen Sie sich ein Netzwerk auf, besuchen Sie Fortbildungen. Der Austausch mit Gleichgesinnten zeigt, dass Sie mit Ihrem Erleben nicht allein dastehen, und das ist oft schon eine große Hilfe.

HOFdirekt: Vielen sind die Mechanismen bekannt, und in der Theorie wissen die meisten, wie sich Stress vermeiden lässt. In der Praxis sieht es jedoch ganz anders aus, viele stecken im Hamsterrad fest.

Regina Eichinger-Schönberger: Den ersten Schritt müssen Sie allein gehen – sich den Stress bewusst machen, darüber sprechen. Das ist eine Hürde. Aber wenn Sie diese übersprungen haben, gibt es zahlreiche Angebote, Trainings oder Kurse zur Stressbewältigung, zum Beispiel von der SVLFG oder den Krankenkassen. Es dauert, bis Sie die nötige Resilienz, also die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen wie Krisen oder Katas­trophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen, erreicht haben. Körper und Geist müssen erst umlernen. Seien Sie nicht zu streng mit sich. Rückfälle in alte Verhaltensmuster sind normal: „Dann backe ich doch die Torten fürs Hofcafé“. Ziehen Sie daraus nicht den Schluss: „Klappt eh nicht“, sondern sagen Sie sich „Morgen funktioniert es wieder.“ 

Regina Eichinger-Schönberger ist Sozialpädagogin und Familienberaterin bei der Berufsgenossenschaft für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG).

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