Vor etwa drei Jahren zeichnete sich für Andreas und Diana Rein aus Breisach am Rhein in Baden-Württemberg ab, dass die konventionelle Schweinezucht für ihren im Schwerpunkt auf Ackerbau ausgerichteten Familienbetrieb perspektivlos ist. Gemeinsam mit den drei Kindern suchten die Eltern nach einer zukunftsfähigen Alternative. Denn Yannick (22), der jüngste Sohn, will den Hof später weiterführen.
Neuer Betriebszweig Edelpilze
Priorität bei der Umstrukturierung war unter anderem, leer stehende Räume nachhaltig zu nutzen. „Kartoffeln und Zwiebeln waren allein schon wegen des Konkurrenzdrucks keine Option, Hopfen und Aquakultur schieden für uns ebenfalls aus“, erinnert sich Betriebsleiter Andreas Rein. Er ergänzt: „Wir wollten keinen saisonal fokussierten Betriebszweig, sondern etwas, womit wir uns das ganze Jahr über beschäftigen können.“ Ein Artikel in der Fachzeitschrift „top agrar“ war letztendlich Ideengeber für den neuen Geschäftszweig, in die Anzucht und Vermarktung von Bio-Edelpilzen einzusteigen. Es folgten Betriebsbesuche bei Berufskollegen, Austausch mit Branchenexperten mitsamt Schulung, ein gründlicher Marktcheck, erste Experimente mit Substratblöcken sowie Gespräche mit den Banken.
Nur auf einen ausgeklügelten Businessplan mitsamt Finanzierung wollten sich Reins bei der Realisierung ihrer Geschäftsidee nicht verlassen. „Für uns war es wichtig, im Vorfeld herauszufinden, ob wir überhaupt genügend Leidenschaft und Know-how für das Thema Pilze züchten und vermarkten mitbringen“, erklärt Diana Rein. Für den professionellen Einstieg in die Direktvermarktung leistete sie sich deshalb zusätzlich ein Unternehmenscoaching. Mit viel Eigeninitiative sowie einem sechsstelligen Investitionsvolumen wurde der Schweinestall mitsamt Güllekanälen für die Pilzzucht und -verarbeitung innerhalb von sechs Monaten umgebaut. Um ergonomisches Arbeiten zu ermöglichen, investierten Reins für den Höhenausgleich zwischen den Produktions- und Verarbeitungsräumen zusätzlich rund 5000 € netto in einen elektrischen Scherenhubtisch.
Sortenreine Anzucht
Auf einer Gesamtfläche von 165 m2 befinden sich sieben in sich geschlossene Räume. Hier sprießen seit September 2021 Kräuterseitlinge, Austern- und Shiitakepilze aus Substratblöcken um die Wette. Theoretisch sind die Räumlichkeiten auf eine Produktionsmenge von 500 kg Edelpilze pro Woche ausgelegt, aktuell erntet und vermarktet der Familienbetrieb rund 200 kg pro Woche. Um den Qualitätsanspruch zu erfüllen, gedeihen die einzelnen Sorten ausschließlich sortenrein, räumlich voneinander getrennt.
„Für ein optimales Wachstum ist eine hohe Luftfeuchtigkeit von 90 bis 95 % und eine Raumtemperatur von 13 bis 15 °C erforderlich“, verrät der 53-jährige Landwirt. Mit der Temperatur lässt sich die Erntemenge steuern. Bei knapper Ware erhöht der Landwirt die Raumtemperatur auf 15 bis 16 °C, um das Wachstum zu bremsen, senkt er sie auf 12 °C. Der Kräuterseitling ist die Diva unter den drei Pilzsorten. Zwar benötigt er wie alle Pilze eine hohe Luftfeuchtigkeit, auf Kondenstropfen reagiert er sensibel und wird fleckig. Um dies zu vermeiden, setzt der Betrieb für die Luftbefeuchtung Ultraschall-Vernebler ein. Da zertifiziertes Biopilz-Substrat knapp am Markt ist, beziehen Reins ihre Ware von unterschiedlichen Anbietern aus der Schweiz und Belgien. Dass sie dabei Qualitätsunterschiede in Kauf nehmen müssen, sorgt bei jeder Bestellung für Anspannung. Je nach Anbieter bestehen die geimpften Substratblöcke aus Stroh oder Sägemehl. Sie sind zwischen 1 und 2,5 kg schwer und mit einer mikroperforierten Folie umwickelt. „Wir sind zufrieden, wenn wir pro Kiloblock Substrat etwa 200 g frische Pilze ernten, müssen aber je nach Qualität der geernteten Ware bis zu 20 % Ausschuss einkalkulieren“, erklärt Sohn Yannick. Da das Einräumen frischer Blöcke und das Entfernen abgeernteter Blöcke per Handarbeit geschieht, freuen sich Reins beim Eintreffen leichterer Blöcke. „Pro Tonne frisches Substrat zahlen wir netto rund 1 000 €, zuzüglich Transportkosten“, rechnet der Junglandwirt vor und ergänzt: „Wir lagern die Blöcke in fahrbaren Edelstahlregalen auf sechs Ebenen übereinander. Um das Pilzwachstum anzuregen, muss die Folie beim Shiitake- oder Kräuterseitling-Substratblock mit einem Messer seitlich einmal rundherum aufgeschlitzt werden. Sobald nach zwei bis drei Tagen das Wachstum beginnt, wird die Folie komplett heruntergezogen.
Weitere zwei bis drei Tage später beginnt die siebentägige Erntephase. Um das Wachstum beim Austernpilz anzuregen, wird die Folie in Längsrichtung aufgeschlitzt. Hier startet die Ernte sieben Tage später, die Erntephase dauert ebenfalls sieben Tage. Um Schimmelbildung zu vermeiden, werden die Substratblöcke bereits nach einer Ernteperiode aussortiert und kompostiert.
Sanft gebettet
„Täglich kontrollieren wir die erntereifen Blöcke und ernten sie bei Bedarf ab“, schildert Diana Rein. Das wichtigste Arbeitsgerät ist dabei ein gutes Gemüsemesser: gebogen, spitz und scharf. Um kontinuierlich verkaufsfähige Ware auf Lager zu haben, bedarf es ausreichend Blöcke in unterschiedlichen Reifestadien. Die geernteten Pilze werden sortenrein in Kisten mit Einschlagpapier verpackt. Dies verhindert ein Austrocknen der sensiblen Schwämme. Im Kühlhaus sind sie bei 1 bis 2 °C etwa zwei bis drei Wochen lagerfähig. Rund 200 kg Edelpilze befinden sich im Schnitt im Lager, so kann der Betrieb flexibel auf Anfragen reagieren.
Diva ist der Verkaufsrenner
Verkaufsrenner auf dem Hof sind Kräuterseitlinge. Kunden schätzen sowohl die feste Struktur, die selbst nach dem Garen bissfest bleibt, als auch den besonderen Geschmack. Er ähnelt sehr den Steinpilzen. Austernpilze besitzen dagegen eine weichere Textur und schmecken aromatisch-würzig. „Optisch schreckt der Shiitake Neukunden oft erst ab. Dabei schmeckt er sehr würzig und aromatisch, mit einer leicht pfeffrigen Note“, schwärmt Diana Rein vor. Sein Geschmack wird als umami bezeichnet. Wegen der vielen guten Inhaltsstoffe gilt er sogar als Heilpilz. Um den Verkauf anzukurbeln, sind Kostproben ideal, hat die Direktvermarkterin für sich festgestellt.
„90 % unserer Edelpilze vermarkten wir frisch, den Rest verarbeitet“, berichtet die 51-jährige Direktvermarkterin weiter. Sie ist der kreative Kopf bei der Produktentwicklung. In ihrer kleinen, 12 m2 großen Verarbeitungsküche tüftelt und probiert sie aus. Ihre vegane Pilzbolognese ist aktuell der Topseller im Regal. Das 250-g-Glas kostet im Verkauf an Endkunden 5,50 €. Der Wiederverkauf mitsamt der Gastronomie machen inzwischen 60 % der kompletten Pilzvermarktung aus. Der Familienbetrieb beliefert rund 20 Hofläden und Supermärkte im Umkreis von 50 km. Neben dem SB-Verkauf ab Hof und dem Wochenmarktverkauf sind Hofführungen ein lukratives Geschäft. Inzwischen haben bereits zwei Unternehmen für Busreisen den Pilzhof fest ins Programm aufgenommen. Im Schnitt managt Diana Rein mithilfe ihrer Familie zwei Führungen mit bis zu 40 Teilnehmern pro Woche. Für eine zweistündige Veranstaltung mit Verkostung und Getränken berechnet sie 19 € pro Person. Um den Einkaufsdrang großer Gruppen bewältigen zu können, bietet sie vorab gepackte Schlemmertüten mit drei verschiedenen Pilzsorten für 10 € an. Im nächsten Schritt soll der neue Betriebszweig weiter wachsen. Das Ziel dabei: Abläufe vereinfachen, insbesondere in der Pilzverarbeitung. Die Anschaffung eines professionellen Zerkleinerers mit Kochfunktion steht für die Direktvermarkterin ganz oben auf der Wunschliste