„Kannst du am Freitagmorgen in der Molkerei aushelfen?“, fragt Arne Sierck aus Kropp in Schleswig-Holstein seine Mutter. Der 29-jährige Direktvermarkter versucht wegen eines kurzfristig eingetretenen Krankheitsfalls einen Engpass bei der Personalplanung auszugleichen. „Ich prüfe meinen Terminkalender, ob ich dann Zeit habe“, erwidert Gunda Sierck gut gelaunt. Arne Sierck und sein zwei Jahre älterer Bruder Hauke sind in die Fußstapfen ihrer Eltern Gunda (54) und Jörn (58) getreten und führen den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb mitsamt Hofmolkerei und Direktvermarktung hauptverantwortlich weiter. Hauke kümmert sich um die Landwirtschaft mit 100 Milchkühen und Rindermast. Arne ist Geschäftsführer der Hofmeierei mitsamt Vermarktung.
Hofübergabe gemeinsam planen
Die Hofübergabe leiteten die Eltern bereits vor gut vier Jahren ein – keine einfache Aufgabe, da der Betrieb sehr vielschichtig aufgebaut ist (siehe Kasten „Betrieb mit vielen Facetten“). „Um herauszubekommen, welche Bedürfnisse alle Mitwirkenden haben, holten wir uns einen Coach ins Boot“, berichtet Mutter Gunda Sierck. Fester Bestandteil der Supervisionsrunden waren von Beginn an auch die Ehefrauen von Hauke und Arne sowie Bruder Malte (26), der in Australien lebt und arbeitet.
Die beengte Wohnsituation mehrerer Generationen auf dem Betrieb vor Augen und die negativen Erfahrungen bei der Hofübergabe der letzten Generation waren Auslöser für Gunda und Jörn Sierck, die eigene Hofübergabe besser zu gestalten. Geplant war ein smarter Übergang mit je einer Doppelspitze aus alt und jung für die Bereiche Landwirtschaft sowie Hofmeierei mit Vermarktung – Ziel: die endgültige Hofübergabe zum 1. Januar 2024. Schnell stellte sich heraus, dass dieses Übergabekonzept die Weiterentwicklung der Direktvermarktung blockierte. Denn Arne Sierck wollte mit der Power der Jugend schnell neue Ideen in die Tat umsetzen, dagegen trat Mutter Gunda auf die Bremse. Schließlich war an den alten Strukturen nichts auszusetzen. „Wir sind zwei starke Persönlichkeiten und brennen für die Direktvermarktung. Wir standen uns im Führungsteam gegenseitig im Weg“, resümiert Gunda Sierck rückblickend und nennt ein Beispiel: „Es kam vor, dass wir unseren Mitarbeiter:innen für ein und dieselbe Problemlösung parallel unterschiedliche Arbeitsaufträge zugewiesen haben.“
Hinzu kam die Erkenntnis: Ihr Wunsch, unterm Strich weniger zu arbeiten, ließ sich so nicht realisieren. Vor knapp zwei Jahren zog sie deshalb die Reißleine und stieg aus der strategischen Unternehmensführung aus. „Kein leichtes Unterfangen“, gesteht Arne Sierck sich ein. Die Mutter arbeitete rund 75 Stunden pro Woche für den Betrieb. Um ihre Arbeitskraft zu ersetzen, stellte er drei neue Mitarbeiter:innen mit jeweils 25 Stunden ein. Eine weitere Entscheidung: Alle, die auf dem Hof arbeiten, werden entlohnt. Das gilt für die Ehepartnerinnen der Brüder ebenso wie für die beiden Geschäftsführer selbst. Um die rasante Steigerung der Personalkosten zu kompensieren, ist eine Umsatzerhöhung von 22 % erforderlich. Um dies zu erreichen, soll neben der Weiterentwicklung des Lieferservices an Privathaushalte und die Gastronomie die Vermarktung ab Hof ausgeweitet werden. Denn hier sieht der Unternehmer Potenzial. Von Schlagwörtern wie Energiekrise oder Fachkräftemangel will er sich dabei nicht ausbremsen lassen, dennoch lies sich auch eine Erhöhung der Preise bei den Produktgruppen Milch und Fleisch nicht vermeiden. „Gute Produkte machen wir“, sagt Arne Sierck selbstbewusst und ergänzt: „Das wissen nur zu wenig potenzielle Kunden.“ Deshalb optimierte er im ersten Schritt das Marketing.
Betrieb zukunftsfähig aufstellen
Hof Fuhlreit soll für Verbraucher ein regionaler und kulinarischer Ort für Lebensmittel sein. Dabei sind die enkeltaugliche, regenerative und nachhaltige Landwirtschaft klar definierte Leitbilder. So verwendet Arne Sierck für die Vermarktung der hofeigenen Mobilstalleier ausschließlich Mehrwegverpackungen. Diese Botschaft wird auch auf den neuen Etiketten, der überarbeiteten Homepage und den aktualisierten Hofprospekten verständlich transportiert. Um sich mit den Leitlinien zu identifizieren, wurde das Verkaufspersonal geschult. Im Juni diesen Jahres lockten Siercks mit ihrem neu aufgelegten Hoffest etwa 5 000 Besucher auf den Hof. Seitdem ist der Umsatz im Hofladen deutlich gestiegen. Im nächsten Schritt steht ein Markenrelaunch an. Aktuell trägt die Hofmolkerei noch den Namen „Geestfrisch“ und die Eismarke heißt „Geesa’s Eis“.
Künftig soll alles einheitlich unter den Namen „Hof Fuhlreit“ produziert und vermarktet werden. Ziele für die nächsten zwei Jahre: Der Direktvermarkter will selbst Käse produzieren. Außerdem überlegt er, ob es sich lohnt, in ein Hofcafé zu investieren. Gunda Sierck hat sich zwischenzeitlich ebenfalls neu orientiert. Sie hat sich als Coach im Bereich Persönliche Entwicklung für Mensch und Unternehmen selbstständig gemacht und springt nur noch bei Engpässen im Betrieb ein. Der Generationswechsel erforderte von allen Familienangehörigen Mut und Vertrauen. Für den Hof Fuhlreit ist er zugleich Startschuss für eine zukunftsweisende Landwirtschaft und Direktvermarktung.
Betrieb mit vielen Facetten
Arne und Hauke Sierck führen den Hof Fuhlreit mitsamt Hofmolkerei und Direktvermarktung im Duo weiter. Hauke kümmert sich um die Landwirtschaft. Für ihr Projekt „Legehennenhaltung im Mobilstall“ stehen die Brüder gleichermaßen in der Pflicht. Arne ist Geschäftsführer der Hofmeierei mitsamt Vermarktung. Rund 500 000 l Milch, das entspricht etwa 2/3 der jährlichen Produktionsmenge, verarbeitet er zu Milchprodukten. Etwa 50 % zu pasteurisierter Vollmilch, außerdem werden Joghurt, Quark, Sahne, Butter und Buttermilch hergestellt. „Ungefähr 25 000 l Milch verarbeiten wir pro Jahr zu bis zu 55 Sorten Speiseeis in der hofeigenen Manufaktur“, erzählt der Jungunternehmer stolz. Weitere 60 000 l Milch lässt er von einer Lohnkäserei zu vier Sorten Käse verkäsen. Darüber hinaus vermarktet der Hof bis zu 30 Weideochsen und Färsen pro Jahr als Frischfleisch, verarbeitet zu Fertiggerichten und Wurst. Mit einem Anteil von 90 % ist das Milchtaxi der Hauptabsatzweg für die Hofprodukte. Eine Flotte mit fünf Lieferwagen versorgt Woche für Woche rund 1 350 Privathaushalte, Schulen, Kindergärten sowie rund 60 Restaurants und Hotels und 35 Hofläden. Der Rest wird über den eigenen Hofladen abgesetzt.